Ich greife gerne Nils Vorschlag auf und blicke mit etwas zeitlichem Abstand nochmal zurück:
„War der PCT so wie du es dir vorgestellt hast? Was hat sich verändert, wie geht es weiter?“
Es hat mich selber gewundert, das ich jeden Tag etwas zu berichten wusste und ich abends dann noch die Lust hatte etwas zu schreiben. Meine Hände waren nach dem Schreiben außerhalb des Schlafsackes immer eisekalt und es hat dann immer lange gedauert bis sie endlich wieder warm waren. Ich hatte eher erwartet, dass ich wegen kalter Füße nicht schlafen kann und habe mich darauf vorbereitet und dicke, warme Schlafsocken mitgenommen und das Wärmflaschenproblem schon vorab durchdacht. Die Trinkflaschen bzw. Wasserbeutel waren sehr gut als Wärmflasche geeignet. Außerdem war es zur Abwechslung auch mal schön warmen Tee zu trinken anstatt, eiskaltes oder lauwarmes Wasser.
Auf dem Trail war alles extrem: schön, fantastisch, aufregend, langweilig, anstrengend, schmutzig, heiß, kalt usw.
Wenn ich mir die Adjektive jetzt so ansehe kann ich mich nur bestätigen.
Die Landschaften und Ausblicke waren extrem schön, da teilweise so viel Mühe vorne an stand, die Aussicht zu erwandern.
Das unerwartete Zusammentreffen mit Trailangeln war extrem fantastisch, ich bekomme jetzt noch eine Gänsehaut, wenn ich an die vielen unerwarteten menschlichen Begegnungen denke.
Die Wanderung durch die Wüste und durch die High Sierra oder zum Schluß durch den Schnee in Washington war anstrengend. Gleichzeitig aufregend, wenn hinter jeder Wegbiegung ein wildes Tier stehen kann.
Aufregend war es auch in den Wäldern, wo jederzeit ein Bär auftauchen konnte. Wie oft habe ich abends in meinem Zelt gelegen und mich selber beruhigt:“Den ganzen Tag hast Du keinen Bären gesehen, warum sollte jetzt ausgerechnet in der Nacht einer kommen?“
Trotzdem habe ich anfangs meinen Essensack außerhalb des Zeltes aufbewahrt. Das war aber wesentlich nervenaufreibender als ihn im Zelt zu haben, da ich gehört habe, wie die Squirrels Löcher in den Sack gefressen haben. Irgendwann habe ich das Essen abends wieder in der Rucksack gestopft (damit ich keine Squirrels oder Mäuse einlade sich durch das Zelt zu knabbern) und der Rucksack blieb im Zelt. Ich habe so oder so schlecht geschlafen, wenn mein Essen in Gefahr war. Einen Bären hätte ich gehört? Vielleicht?
Aber außerhalb der überlaufenen Nationalparks hatten die Bären mehr Angst vor den Menschen als umgekehrt.
Oft bin ich nachts aufgewacht oder war nur im Halbschlaf. Jedes Mal die Überwindung den Reißverschluss vom Schlafsack und vom Zelt zu öffnen und raus zu gehen um zu pinkeln. Erst die Angst vor jagenden Klapperschlangen oder einfach nur Löcher oder Giftpflanzen. Dann die Angst vor Bären, Moskitos und dem kaputten Zeltreißverschluss. Dann war es nachts nass und kalt.
Aber leider konnte ich mein Trinkverhalten nicht umstellen, da ich abends im Zelt fast immer noch einen Liter Wasser zu mir genommen habe. Leider hat meine Blase den Rhythmus beibehalten, das kannte ich vor dem PCT nicht.
Zelten war nie meine Lieblingsbeschäftigung, ich habe das im Alter von 18 Jahren einmal ausprobiert und dann entschieden, das ich eher der Hilton-Typ bin. Fünf-Sterne-Hotel mit Frühstücksbuffet im amerikanischen Stil und ein super bequemes weiches Bett.
Und nun?
Wer den PCT laufen will, der muss in der Wildnis übernachten. Da mein Wille stärker als mein Körper ist, musste ich da durch. Die Beschaffung meiner Behausung war ein langer Prozess, aber mit dem Ergebnis war ich zufrieden.
Das Big Agnes-2-Mann-Zelt war groß genug um mich und meine Habseligkeiten zu beherbergen. Die Überlegung mit einer Faltmatratze und einer Luftmatratze zu nächtigen, war bequem und von Boden her auch im Schnee warm genug. Des weitern hat die Faltmatratze spitze Nadeln, Steinchen etc. von der Luftmatratze fern gehalten und ich konnte die Faltmatratze tagsüber immer unterlegen, das war auf alle Fälle bequemer als sich auf den nackten Boden zu setzen oder zu legen. Der Schlafsack war groß und warm genug. Wenn ich gefroren habe, dann war ich zumeist schon zu ausgekühlt oder abgekämpft. Diesen Zustand sollte man auf dem PCT vermeiden. Aber die Wärmflasche hat mir da weiter geholfen, sowie die Tipps von Yogi in Kennedy Meadows.
An den Schmutz habe ich mich gewöhnt, wobei mir in der Wüste und in Washington die Fingerkuppen aufgeplatzt sind. In der Wüste durch den trockenen Staub und die Hitze, in Washington durch die Kälte. Aber das ist jetzt alles schon wieder abgeheilt.
Zum Thema Hygiene: Meine Zähne habe ich tatsächlich morgens und abends geputzt, mehr Hygiene war nicht.
Wobei das abendliche Zähneputzen in meinen persönlichen Ablauf eingebaut war. Essen in den Rucksack, Zähne putzen, Pinkeltuch nehmen, Reißverschluss aufmachen, Zahnpasta außerhalb des Zeltes mit Wasser ausspülen und dieses Wasser über die Zahnbürste laufen lassen. Dann pinkeln, Pippituch wieder am Zelt befestigen (hält vielleicht auch Bären ab, da es garantiert nach Mensch riecht) ins Zelt und der Kampf mit dem Reißverschluss. In den ersten 2 Tagen nach der letzten Dusche habe ich meinen Körpergeruch stark war genommen. Nachdem alles wieder eingeschwitzt war hat es mich erst mal nicht mehr gestört. Ab dem 5. Tag haben ich mich dann meistens wieder gerochen. Irgendwann habe ich dann auch angefangen mich zu kratzen und der Drang nach einer Dusche wurde größer. Komischerweise habe ich keine negativen Kommentare bezügliches meines Geruches von den Autofahrern erhalten, die mich mit genommen haben.
Langweilig wurde mir dann richtig in Oregon, da es permanent durch Wälder ging, das war für mich nicht aufregend, da es wie in Hessen aussah. Aber immerhin haben die Bäume Schatten gespendet.
Jetzt sehe ich auch die Werbung von Jack Wolfskin u.a. mit anderen Augen, so sauber wie es in der Werbung präsentiert wird, bist Du schon nach einer halben Stunde nicht mehr. Und kein Hiker sah so aus, wie uns das die Werbung vorgaukelt. Regen und Schnee für Tage, und alle Hiker waren kaum noch als individueller schöner Mensch zu erkennen. Die Mützen soweit ins Gesicht gezogen, das man vom Gesicht nicht mehr viel gesehen hat. In der Werbung sieht das ganz anders aus.
Aber diese Outdoor-Werbung hilft verkaufen, aber das Outdoor-Leben ist etwas ganz anderes. Mal ein Regenschauer und dann wieder in die Zivilisation und trocknen, das ist lachhaft einfach. Aber mit drei Tagen Dauerregen klar zu kommen ist sau schwer. Nichts wird trocken, alles ist nass, ich habe gefroren, Du kannst keine Pause machen, da Du dann sofort unterkühlst, also weiter, dann überforderst Du Deinen ganzen Körper (Quittung habe ich jetzt mit einer chronischen Sehnenscheidenentzündung am linken Fuß) und isst noch weniger als sonst. Da verschwindet ruck zuck der Spaß am Hikerleben.
Was hat sich verändert, wie geht es weiter?
Zu dieser Frage kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nur sagen, dass ich 15 Kilo abgenommen habe.